Unterschiedliche Kulturen - Eine Schulung

In wieweit hat der Staat in Sachen Familie Mitspracherecht?

Angelbachtal. Dieser und einigen anderen Fragen ging der Kulturwissenschaftler in seinem Vortrag vor rund 40 Zuhörern nach. Eingeladen hatte der Arbeitskreis Migration, der das Ziel hatte, freiwilligen Helfern, Erziehern und Lehrern Handwerkszeug im Umgang mit arabisch geprägten Flüchtlingskindern und deren Familien zu geben. Nach einer herzlichen Begrüßung durch den evangelischen Pfarrer Emanuel Fritz stellte Stephanie Brecht den Hilfsverein Provide e.V. mit Sitz in Angelbachtal vor, bei dem der Redner des Abends angestellt ist. Provide entsendet Fachkräfte weltweit, um in den jeweiligen Einsatzorten die Lebensqualitäten allumfassend stückweise zu verbessern. So ist der Referent seit mehr als 16 Jahren mit seiner Familie nach Jordanien ausgesandt. 

Zunächst stellte der Redner klar, dass jede Gesellschaft sich an unterschiedlichen Normen orientiere, Z.B. der religiösen, der familiären und der staatlichen Norm. Diesen Normen werden je nach Gesellschaft unterschiedliche Rollen zugesprochen. So sind die religiösen und familiären Normen in Deutschland in der staatlichen Norm inbegriffen. Das heißt, dass auch das familiäre und religiöse Leben dem Grundgesetz unterstellt sind. Nicht so im osmanischen Reich. Hier hat der Staat den verschiedenen Gemeinschaften erlaubt, sich weitgehend sich selbst zu verwalten und entschied, sich nicht in familiäre Angelegenheiten einzumischen. Auch gibt es bis heute in manchen Ländern keine Möglichkeit, zivil zu heiraten. Das sei Sache der Religion. Familiäre Konflikte werden von Familie und Stamm geregelt. Hier habe der Saat nicht mitzureden. Dies zu wissen helfe, zunächst Verständnis für unbekannte Reaktionen aufzubringen und den Flüchtlingen vorsichtig bewusst zu machen, dass diese Rollen in Deutschland anders verteilt sind. Hier müsse man sich z.B. auch in familiären Angelegenheiten dem Staat unterordnen.

Die Menschen des Mittleren Ostens seien viel mehr beziehungsorientiert als Deutsche. Eine überschwängliche Begrüßung und mehrfaches Nachfragen, wie es einem gehe, sei ein Muss. Und wenn der überraschende Besuch noch so ungelegen kommt: Der Gast ist König und für den Gast lässt man alles andere liegen. Dazu kommt, dass man vor dem anderen sein Gesicht nicht verlieren darf. Nie wird etwas Negatives gegenüber der betreffenden Person direkt ausgesprochen. Als Tipp nannte der Referent hier die Sandwich-Methode: Eingepackt zwischen zwei Scheiben dicken Lobes, darf eine hauchdünne Scheibe – wenn möglich indirekter Kritik – im Sandwich integriert sein. Menschen aus dem arabischen Raum verstünden dies sehr gut, während die deutsche Bevölkerung die versteckte Andeutung nicht, bzw. kaum wahrnehmen würde, da diese meist sehr direkt kommuniziere.

Die arabische Kultur achte Autoritäten in einer anderen Weise als die westliche Kultur. So wird von einer Autoritätsperson Stärke und Güte zeitgleich erwartet. Dahinter stecke die Erfahrung: Nur wenn du stark (autoritär) bist, kannst du mir helfen. Klare Ansagen seien von Nöten und an Ausdruck durch Emotionen nicht zu sparen. 

Nach einer Fragerunde gebrauchte Kulturwissenschaftler abschließend das Bild eines Werkzeugkastens. Kultur sei wie ein Werkzeugkasten. Deutschen sei es eine Hilfe, die unterschiedlichen Funktionen der Werkzeuge des Orients zu kennen, um das Verhalten der Flüchtlinge zu verstehen und zeitgleich ihnen die Funktionen der Werkzeuge der Deutschen Kultur nahe zu bringen. 

Als Pfarrer Fritz sich herzlich bedankte und erwähnte, das er sehr viel gelernt hätte und noch lange zuhören hätte können, bekam er lauten und bestätigenden Applaus. Noch lange nach dem offiziellen Ende wurde in spontanen Kleingrüppchen das Thema weiter vertieft.

 

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